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Wahrheitsministerium

veröffentlicht am 06.01.2022 mit 933 Worten - Lesezeit: 5 Minute(n) in * GEBRABBEL *

Inhaltsverzeichnis

 

Etwas irritiert habe ich in den Nachrichten des Deutschlandfunks diese Meldung, hier im Archiv, zur Kenntnis genommen:

Die Meldung

Nach Frankreich hat nun auch Schweden eine nationale Agentur zur Bekämpfung von Desinformation eingerichtet. Die Behörde wurde zum Jahreswechsel gegründet und soll nach eigener Darstellung die Freiheit von Information und Meinungsbildung schützen.

Interessant ist auch der Hinweis darauf, was dahinter stecken könnte:

Die Regierung in Stockholm erhofft sich von der neuen Behörde auch, den bevorstehenden Wahlkampf vor Manipulationen zu schützen. Die Menschen in Schweden stimmen im September über einen neuen Reichstag ab.
Frankreich, wo im Frühjahr Präsidentschaftswahlen stattfinden, hat schon im vergangenen Jahr eine Agentur zur Bekämpfung ausländischer Desinformation eingerichtet.

Einordnung der Meldung

Demokratie und der mündige Bürger

Und an dieser Stelle ist mir dann Prof. Rainer Mausfeld eingefallen, der in seinem Vortrag in der Teleakademie unter dem Titel Elitendemokratie und Meinungsmanagement: Hat sich die Vorstellung vom “mündigen Bürger” überlebt? am 15.09.2019 ausführte (min. 15:00):

Wenn der Bevölkerung die relevanten Informationen nicht unverzerrt zur Verfügung stehen und der öffentliche Debattenraum eingeschränkt ist, gibt es keine Möglichkeit, ein Urteil über die politische Kompetenz der Bürger abzugeben

ausgehend von John Dewey (1859-1952), der formulierte:

Solange bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit Geheimhaltung, Parteilichkeit, Vorurteile, Falschdarstellungen, Propaganda und schiere Ignoranz überwiegen, gibt es keine Möglichkeit, die politische Intelligenz der Massen zu beurteilen.

Wenn man sich die obige Meldung des Deutschlandfunks, in der es ja genau darum geht, den Debattenraum einzuschränken, so anschaut, dann kommt man eher zu dem Schluß, die Verantwortlichen sähen die Öffentlichkeit im Sinne Walter Lippmans (1889-1974) bestehend aus „unwissenden und lästigen Außenstehenden“, deren Rolle in einer Demokratie die der „Zuschauer“ sein müsse, nicht aber die von „Mitwirkenden“: (im Vortrag bei min. 11:30)

„Die Öffentlichkeit muss an ihren Platz verwiesen werden, damit wir (Anm.: die Eliten) durch das Getrampel und Geschrei der verwirrten Herde nicht beeinträchtigt werden.“
“The public must be put in its place […] so that each of us may live free of the trampling and the roar of a bewildered herd.”

Und dieser Herde sind dann die Informationshäppchen zu verabreichen, die - von wem und auf welche Weise auch immer - als “unschädlich” gekennzeichnet werden.

Ergänzend dazu ist diese Foliensammlung interessant.

Kleiner Exkurs: eingeengter Debattenraum

Ich möchte zwei Beispiele nennen:

Es hat sich nicht viel geändert in den Jahrhunderten.

Fake News

Ich hab mal gelernt: In der Wissenschaft gilt eine Theorie solange als richtig, bis sie schlüssig widerlegt oder durch eine bessere (belegte) Theorie ersetzt wird. Es gibt keine Denkverbote. Aber es darf nicht “geschwurbelt”, sondern muß belegt werden.

Denselben Anspruch erhebe ich an z. B. Nachrichten aller Art auch: es muß immer sauber recherchiert werden, Quellen müssen überprüfbar sein. Ich selbst habe es mir schon lange abgewöhnt, aufgrund irgendeiner Meldung irgendeines Mediums mir eine feste Meinung zu bilden - in der Regel schaue ich mir die Originalquellen an. Oft ist das Bild dann viel differenzierter.
Das geht natürlich nicht für jede Meldung, die minütlich durch den Äther schwirrt - aber mal ehrlich: welcher geringe Anteil davon ist für den einzelnen wirklich relevant?

Mir wird bei der Betrachtung der Meldung in Kombination mit den Ausführungen des Prof. Mausfeld und den beiden Beispielen im Exkurs nur etwas mulmig in diesem wichtigen Punkt:

Diese schwedische Agentur beschreibt sich wie folgt:

We defend our open and democratic society and free opinions by identifying, analysing and responding to inappropriate influences and other misleading information directed at Sweden or Swedish interests.

übersetzt:

Wir verteidigen unsere offene und demokratische Gesellschaft und die Meinungsfreiheit, indem wir unangemessene Einflüsse und andere irreführende Informationen, die sich gegen Schweden oder schwedische Interessen richten, aufdecken, analysieren und dagegen vorgehen.

Wer bestimmt unter wessen Kontrolle und nach welchen Grundsätzen, was unangemessene Einflüsse und andere irreführende Informationen, die sich gegen Schweden oder schwedische Interessen richten sind?

Da sind aufgrund der Konstruktion (Behörden sind i. d. R. einem Ministerium nachgeordnete Einrichtungen) bereits den Manipulationen der Öffentlichkeit Tür und Tor geöffnet.

Wie geht’s weiter mit unserer Gesellschaft?

Bleibt die Frage: wie weit sind wir unter diesen Umständen noch entfernt von der Welt des George Orwell?
Schauen wir uns mal andere bekannte Punkte aus seinem Roman an:

Brot und Spiele

aber:

Sollten wir anfangen, uns Sorgen zu machen?

 


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